Seit dem Angriff der Hamas auf Israel laden viele Influencer radikales Gedankengut ins Netz. Unter ihnen sind auch Stimmen aus dem salafistischen Spektrum.
Pierre Vogel sitzt im Hugo-Boss-Pullover vor der heimischen Kamera und spricht mit seinem rheinischen Zungenschlag in die Kamera: “Ostpreußen, Westpreußen, Schlesien und Pommern haben wir schon weggegeben. Warum geben wir den Juden nicht als eigenen Staat Sachsen-Anhalt?”
Der Mann, von dem dieser absurde Vorschlag kommt, ist kein Unbekannter. Pierre Vogel aus der Stadt Frechen bei Köln ist einer der reichweitenstärksten salafistischen Influencer in Deutschland. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober beschäftigt er sich verstärkt mit dem Nahostkonflikt – und teilt dabei radikale, antiisraelische und antijüdische Thesen.
Vogel ist nicht der Einzige, der zurzeit radikale Thesen gegen Israel verbreitet. Seit dem 7. Oktober beschäftigt sich eine auffallend große Zahl an Influencern mit dem Nahostkonflikt – darunter auch viele, die zuvor nicht eindeutig Place bezogen haben. Ihre teils radikalen Inhalte erreichen Millionen. Tragen sie zu einer antiisraelischen Radikalisierung bei?
“Für mich ist Hitler besser als Netanjahu”
Theresa Lehmann, Expertin für Extremismus im Web bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, glaubt fest daran. “Die Zielgruppe auf TikTok sind ja junge Menschen”, sagt sie im Gespräch mit t-online. “Denen ist teilweise gar nicht bewusst, was sie konsumieren und verbreiten”.
Besonders extrem ist der israelbezogene Antisemitismus im Publikum von Pierre Vogel. Der salafistische Prediger sprach Anfang November in einem Livestream auf der Videoplattform TikTok mit dem Clanchef Arafat Abou-Chaker. Dabei ging es vor allem um die Geschehnisse in Israel und dem Gazastreifen. Abou-Chaker sagte dabei wörtlich in Bezug auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu: “Für mich ist Adolf Hitler besser als Netanjahu”.
Er begründet seinen Satz mit der Aussage, Hitler habe die Menschen wenigstens sofort getötet. Im Gegensatz dazu lasse Netanjahu die Palästinenser leiden “und bringt uns dann erst um. Der will ein ganzes Volk auslöschen.”
Copy-Paste-Aktivismus als Drawback
Aber warum sind Vogel und Konsorten so erfolgreich? “Junge Menschen wollen das Richtige tun”, erzählt Theresa Lehmann. Bei vielen von ihnen fehlten Vorbilder und ein gefestigtes Weltbild. “Ein weiteres Drawback ist außerdem der Copy-Paste-Aktivismus”, führt die Expertin weiter aus. Begriffe wie “Kindermörder Israel” würden unreflektiert mit der eigenen Bubble geteilt. Das führe zur Verbreitung antiisraelischer Verschwörungsmythen.
Genau solche Verschwörungsmythen verbreitet auch Serhat Sisik. Der Influencer ist unter dem Namen “Aggressionsprobleme1” vor allem auf Instagram und TikTok aktiv. Ihm folgen dort quick 200.000 Nutzer. Seine Reichweite ist für ihn ein “Geschenk Allahs”, wie er in einem Video erklärt. Daraus erwachse allerdings auch eine gewisse Verantwortung. Denn wer als Influencer nur Geld verdienen wolle, anstatt “über Palästina zu posten”, werde früher oder später dafür bezahlen, so Sisik in einem Video. Dafür werde Allah sorgen.
Seit dem Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel beschäftigt sich Sisik quick ausschließlich mit dem Nahostkonflikt – und rutscht dabei immer häufiger ins Spektrum der Verschwörungsmythen ab. “Die Medien” würden verschweigen, was “wirklich” in Gaza geschehe, erzählt er. Israel unterbreche etwa “bewusst” die Internetverbindung im Gazastreifen, um Informationen über “den Genozid” zu unterdrücken. Beweise liefert “Aggressionsprobleme1” für seine Behauptungen nicht.
Medien als Feindbild
Die Medien sind generell ein beliebtes Ziel von Sisik. Am 16. Oktober lädt er ein Video hoch, das er mit den Worten “Ihr seid absolute Heuchler” beginnt. Gemeint ist die gesamte deutsche Medienlandschaft, die einseitig und pro-israelisch über den Angriff der Hamas und den Krieg im Gazastreifen berichte. Doch Sisik belässt es nicht nur bei Worten.
Am 18. November nimmt er an einer pro-palästinensischen Demonstration in Berlin teil. Dort wird er laut einem Bericht von Jörg Reichel, Geschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in der Gewerkschaft Verdi, auf ein filmendes ARD-Workforce aufmerksam, das gerade ein Interview aufnimmt.