Vierzig Prozent der Studierenden besitzen keine Probability auf Bafög – egal, wie wenig Geld sie haben. Das muss sich ändern, schreibt Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks, in seinem Gastbeitrag. ,
Unsere Gesellschaft vernachlässigt die Interessen der jungen Era. Kinder und Jugendliche hat die Pandemie hart getroffen; ihnen wurden Bildung, Sozialkontakte und prägende Erfahrungen vorenthalten. Anstatt nun bildungs- und finanzpolitisch die junge Era zur Prime-Priorität zu machen, drohen wichtige Versprechen der Ampel-Koalition an junge Menschen wegzubrechen.
Das zeigt sich etwa bei den geplanten Kürzungen für Forschende und Studierende beim Deutschen Akademischen Austauschdienst und sehr deutlich beim Bafög. Es ist frappierend, wie zukunftsvergessen der aktuelle Haushaltsentwurf der Bundesregierung ist. Welche Bedeutung hat die junge Era, wenn es nicht nur um Sonntagsreden, sondern um harte Währung im Etat geht? Soll ausgerechnet auf ihre Kosten gespart werden?
Am Beispiel des Bafög zeigt sich, wie falsch das ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will im kommenden Jahr 440 Millionen Euro weniger fürs Studierenden-Bafög ausgeben. Das schmälert die derzeitigen Bafög-Leistungen zwar nicht (was dem Ministerium auch niemand vorwirft), aber: Das Bafög reicht schon jetzt zum Leben nicht aus. Zum Wintersemester 2022/2023 wurden die Bedarfssätze um 5,75 Prozent erhöht – und von der Inflation gleich wieder aufgefressen. 2023 und 2024 müssten, sollten die Kürzungspläne Wirklichkeit werden, die Bafög-geförderten Studierenden mit Nullrunden abgespeist werden – obwohl die Preise auf Energie, Wohnraum und Lebensmittel weiter steigen.
Der Satz für den Bafög-Grundbedarf – für Essen, Trinken und Hygiene – liegt unterhalb des Existenzminimums. 452 Euro gibt es beim Bafög, 502 Euro beim Bürgergeld, und ab kommendem Jahr sogar 563 Euro, additionally 111 Euro mehr als beim Bafög. Studierende essen, trinken und heizen aber nicht weniger als andere Menschen, sie sind keine Bürger*innen zweiter Klasse.
Das Bafög sieht aktuell für die Miete 360 Euro im Monat vor. In kaum einer deutschen Hochschulstadt kann man sich davon ein WG-Zimmer leisten. In München, der teuersten Hochschulstadt Deutschlands, kostet ein WG-Zimmer im Durchschnitt das Doppelte, 720 Euro im Monat. Eine neue Studie zeigt: Bafög-Empfänger:innen müssen bis zu 74 Prozent (!) ihres Bafögs für die Miete aufwenden.
Neben regelmäßigen Erhöhungen hat die Bundesregierung als eines ihrer zentralen Bildungsversprechen für diese Legislaturperiode eine große Strukturreform des Bafög angekündigt. Die Förderung solle elternunabhängiger werden, man will die Zugangsvoraussetzungen an veränderte Bildungsbiografien und die Lebenswirklichkeit der Studierenden angleichen – und die Zahl der geförderten Studierenden von derzeit gerade einmal elf Prozent deutlich erhöhen.
Vierzig Prozent der Studierenden haben heute keine Probability auf ein Bafög – egal, wie wenig Geld sie haben. Weil sie das Studienfach gewechselt haben, zu lange studieren oder für das Bafög den falschen Move haben. Die Ampel hat hier zurecht eine Generalüberholung versprochen. Jetzt muss sie liefern.
Werden aber nun die geplanten Einsparungen beim Bafög im Haushalt 2024 umgesetzt, lassen sich weder höhere Bedarfssätze noch die so dringend benötigte Reform umsetzen. Das Ergebnis: Man schickt das Bafög sehenden Auges noch stärker in den Sinkflug. Nach einer Prognose des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik wird ohne Reform die Zahl der Bafög-geförderten Studierenden ab 2024 wieder sinken. Die von der Koalition versprochene Trendwende – ein besseres Bafög für mehr Studierende – lässt sich so nicht bezahlen.
Welche Botschaft sendet das an diese Studierenden, die, weil sie aus einkommensschwachen Familien kommen, das Bafög als wichtigste staatliche Unterstützung fürs Studium so dringend brauchen? Im besten Fall ist es Gleichgültigkeit, ein achselzukuckendes „Anderes ist eben wichtiger“.
Opfert die Bundesregierung Bafög-Erhöhungen und Bafög-Reform dem Sparzwang, konterkariert das nicht nur alle schönen Selbstbezeichnungen wie „Fortschrittskoalition“. Es schadet auch Wirtschaft und Gesellschaft. Studienabbrüche aus Geldmangel können wir uns nicht leisten. Es geht um die künftigen Lehrkräfte, Ingenieur:innen, Informatiker:innen, Ärzte und Ärztinnen, die wir so händeringend brauchen.
Der Bundestag hat die Probability, den Haushaltsentwurf nachzubessern und endlich auch die versprochene Bafög-Reform auf den Weg zu bringen. Ich wünsche mir sehr, dass wir im Deutschen Bundestag erleben werden, dass junge Menschen in diesem Land nicht ihrer Zukunftschancen beraubt werden.
Matthias Anbuhl
ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks
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